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Burnout und Technik

Hofbauer Stefan am 19.6.2014
Do 19 Jun Der höhere Mensch hat Seelenruhe und Gelassenheit,
der gewöhnliche ist stets voller Unruhe und Aufregung.
(Konfuzius)

Offiziell ist Burnout weder im ICD 10 noch im DSM V (Diagnosemanuale für psychische und psychiatrische Störungen) eine Diagnose. Unter der Ziffer Z wird es im ICD 10 als "Faktor, der den Gesundheitszustand beeinflusst und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führt" genannt.

Laut Medienberichten seien allein in Österreich 500.000 Menschen von diesem Syndrom betroffen sein (z.B.: Der Standard).

Abgesehen davon, dass ich stark bezweifle, dass es sich im Einzelfall wirklich jedes Mal um das Zustandsbild eines Burnouts handelt, kann man sich fragen, wo diese Entwicklung Ihre Ursachen hat.

Sehr viele Menschen, die als Burnout "diagnostiziert" werden, leiden vermutlich an komplexeren psychischen Problemen, wie etwa einer verschleppten Depression oder einem äußerst fragilen Selbstwertgefühl infolge einer frühen Störung. Die "Diagnose" Burnout ist in dieser Hinsicht sehr praktisch, weil sie für die Betroffenen weniger schambesetzt ist als eine psychiatrische Diagnose und obendrein noch sozial erwünschtes Verhalten suggeriert (Arbeiten bis zum Umfallen).

Leistung und Arbeit gelten in unserer Gesellschaft bedeutend mehr als soziale Kontakte, ein erfülltes Leben, Freundschaft und Liebe. Als jemand, der am Land aufgewachsen ist, weiß ich, wie sehr Menschen gesellschaftlich verherrlicht werden, die in Folge Überarbeitung früh sterben.

Menschen hingegen, die in erster Linie ihr Leben genießen, werden nur selten lobend erwähnt. Und doch ist es eine Tatsache, dass noch kein alter Mensch jemals bereut hat, zu wenig gearbeitet zu haben. Was im fortgeschrittenen Alter wirklich bereut wird, ist, zu wenig gelebt zu haben, zu wenig genossen zu haben, zu wenig Zeit mit Freunden verbracht zu haben (vgl. Artikel "Was Menschen im Angesicht des Todes bereuen").

Woher also kommt Burnout? Viele vermuten, dass dieses Zustandsbild etwas mit der gegenwärtigen Wirtschaftkrise und dem zunehmenden Effizienzdruck in Unternehmen zu tun hätte. Doch ist das wirklich wahr? Sind wieder einmal die "bösen" Arbeitgeber schuld?

Oder könnte es vielleicht sein, dass in Wahrheit die Technik, die wir seit etwa 15 Jahren verwenden, begonnen hat uns zu beherrschen, anstatt dass sie uns nützliches Werkzeug wäre?

Überlegen wir einmal, wie Menschen heute leben. Ein durchschnittlicher Arbeitstag eines Menschen der Mittelschicht könnte etwa so aussehen:

  • 6:30 Uhr: Aufstehen
  • 6:45 Uhr: Checken der Emails und der Nachrichten über Handy, Tablet oder Computer
  • 7:15 Uhr: Nach einem starken Kaffee in die Arbeit fahren, im Stau oder in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln stehen; erste Telefonate oder Emails mit Kollegen, erschütternde politische oder wirtschaftliche Nachrichten im Internet
  • 8:00 Uhr bis 17:00 Uhr: Arbeit, ständig unterbrochen von zahllosen Anrufen und dringenden Emails, gestressten KollegInnen, parallel dazu Stress mit der Partnerin via Telefon oder Email.
  • etc.

Mit anderen Worten, wir sind von früh bis spät ununterbrochen mit fünf, sechs oder mehr Themen gleichzeitig ausgefüllt. Unser Gehirn ist also ständig damit beschäftigt, viele Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.

Dieses sogenannte Multitasking galt lange Zeit als überaus erstrebenswert. Schließlich kann auch jeder Computer parallel fünf, sechs oder mehr Programme gleichzeitig verarbeiten. Wieso also sollten wir Menschen das nicht können?

Interessanterweise haben Hirnforscher immer jene Metapher für die Funktionsweise des menschlichen Gehirns gewählt, die der jeweiligen Technik der Zeit entsprach. Waren das im 19. Jahrhundert hydraulische Hirnmodelle, gehen wir heute davon aus, das menschliche Gehirn funktioniere wie ein Computer. Genau das ist aber grundfalsch.

Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass das sogenannte Multitasking in hohem Maß gesundheitsschädlich ist. Wird das Gehirn gezwungen, ständig zwischen mehreren Aufgaben hin und her zu springen (z.B.: Auto fahren, telefonieren, SMS versenden, mit dem Beifahrer sprechen), so erzeugt das einerseits Stress und führt andererseits zu einem erheblichen Konzentrations- und Leistungsverlust.

Das Gehirn ist nicht mehr in der Lage, Informationen wirklich tief zu verarbeiten. Sie werden jetzt nur mehr oberflächlich bearbeitet. Als Spätfolge dieses Dauerstresses im Gehirn kommt es schließlich dazu, dass der betreffende Mensch nicht mehr zwischen wichtigen und unwichtigen Themen unterscheiden kann. Der nicht endende Stress führt zu Burnout oder sehr langfristig sogar zu hirndegenerativen Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder Alzheimer.

Dabei gilt es auch zu wissen, dass Stress grundsätzlich positiv ist. Er ermöglicht es einem Organismus Energie zu mobilisieren und mehr Leistung zu erbringen, als das ohne Stress möglich wäre. Diesen positiven Stress nennt man auch Eustress (die griechische Vorsilbe eu bedeutet "gut"). Erst wenn Stress über einen langen Zeitraum anhält, wird er zum negativen oder Distress (die griech. Vorsilbe dis bedeutet "schlecht").

Psychologisch wichtig ist dabei der subjektiv wahrgenommene Handlungsspielraum. Schätze ich meine Situation so ein, dass ich sie selbst nicht ändern kann, wirkt Stress deutlich negativer, als wenn ich davon ausgehe, dass ich meine Situation rasch und unkompliziert ändern kann. Das mag mit ein Grund sein, warum Arbeitslose häufig besonders hohe Stresswerte aufweisen.

Stresshormone wie etwa Cortisol führen direkt zu physiologischen und anatomischen Veränderungen im Gehirn. Hält der Stress mehrere Monate an, kann es sogar zum Absterben von Gehirnzellen kommen.

Mehrere Faktoren scheinen also Burnout zu begünstigen. Zum einen die ständige Beschäftigung mit vielen Themen gleichzeitig und zum anderen das Fehlen des natürlichen Wechsels zwischen Anspannung und Entspannung.

Letzteres ist übrigens sehr gut vereinbar mit einer zentrale Aussage der Gestalttherapie: das Natürliche ist der Wechsel zwischen Kontakt und Rückzug. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, Sie würden 24 Stunden am Tag nur essen und Ihrem Körper niemals Zeit geben zu verdauen. Oder stellen Sie sich im Gegenteil vor, Sie würden tage- und wochenlang NICHT essen! Ähnlich geht es uns auch mit sozialen Kontakten. Würden Sie wohl Ihre Partnerin oder Ihren Partner noch ertragen, wenn Sie mit ihr/ihm über Monate hinweg 24 Stunden am Tag zusammen wären?

Was also fehlt in unserer sogenannt modernen Gesellschaft, ist der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Wir beschäftigen uns zwar ständig mit unterschiedlichen Themen, aber wir haben völlig verlernt, wirklich nichts zu tun oder auch nur für wenige Stunden ohne Handy oder Tablet aus dem Haus zu gehen oder die Geräte schlicht und einfach auszuschalten.

Wir sollten - und Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich bei Gott kein Technikfeind bin! - Handy, Computer, Tablet und all die anderen nützlichen Werkzeuge als genau das sehen, was sie sind, nämlich Werkzeuge, die uns den Alltag erleichtern können. Momentan scheinen wir in weiten Teilen der Gesellschaft eher einen Punkt erreicht zu haben, wo die Technik uns beherrscht und nicht umgekehrt!

Wenn aber Computer, Handy, Tablet, Email, Fernseher, etc. anfangen, uns ihren Rhythmus zu diktieren, sind Burnout und andere psychische Belastungen und Erkrankungen vorprogrammiert.

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Zitierte Artikel
Der Standard. Energielos und erschöpft: Burnout vorbeugen.
Die Welt. Was Menschen im Angesicht des Todes bereuen.
Die Zeit. Alles gleichzeitig funktioniert nicht.

#burnout #multitasking #technik #gestalttherapie
Mu

www.gestalttherapeut.com
Burnout Gestalttherapie Multitasking Technik
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