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Fachartikel


Wenn alles im Körper weh tut und bisher nichts geholfen hat ...
von Frau Dr. Elfriede Kastenberger


….und die Patientin mit einem dicken Pack Befunde bei Ihnen Platz nimmt – und sagt: „Jetzt hab ich schon so viel versucht, aber Sie können mir sicher helfen“ - dann wissen Sie, es wird schwierig.
Und Sie könnten wahrscheinlich schon nach den ersten Worten eine Diagnose stellen.

Damit Sie „der armen Person nicht Unrecht tun“, durchsuchen Sie ihre Befunde: ist wirklich alles gemacht worden – oder fehlt da nicht doch ein Labor- oder MRT-Befund, der diesen Dauerschmerz erklären könnte – die Patientin wirkt ganz so, als ob sie „etwas Ernsthaftes hätte“.
Und in Ihnen stellen sich, abhängig von Dauer der Berufsausübung, Burnout –Stadium, Abstand zum letzten Urlaub, Anzahl von Patientinnen mit ähnlicher Symptomatik in Ihrer Praxis, und Ausmaß Ihres Helfer-Syndroms Gefühle ein, die von „die anderen haben ja völlig übersehen, dass….. Ich werde das hinkriegen (die Patientin heilen)“ bis zu „Oh mein Gott, wie krieg ich die wieder los“ reichen können.

Das Fibromyalgie-Syndrom (she. Kasten 1) ist wirklich „etwas Ernstes“, auch wenn es quo ad vitam wahrscheinlich keine Bedrohung darstellt. Bei einem großen Teil der PatientInnen (die Zahlen schwanken zwischen 50 und 80 %) ist es ein Hinweis auf schwerwiegende Traumatisierung in der Kindheit, eine Erinnerung des Körpers an Schläge, Missbrauch, Vernachlässigung oder massive Überforderung; und oft genug setzt sich die belastende Situation bis in die Gegenwart fort: bei vielen Patientinnen stellt sich heraus, dass sie in einer Beziehung leben, in der Gewalt und/oder Demütigung und/oder Überforderung weiter stattfindet. Oft werden diese Umstände erst im Laufe einer längeren ärztlichen oder therapeutischen Beziehung angesprochen, z.T. weil sie verdrängt sind, z.T aus Scham, und oft auch aus der Befürchtung heraus, damit nicht ernst genommen zu werden.

Die Betroffenen zeigen oft bestimmte Persönlichkeitsmerkmale: einen Hang zu Perfektionismus, hohen Leistungsanspruch, erhöhten Anspruch an die Erfüllung der sozialen Rolle, geringe Selbstbehauptung; sie können nicht nein sagen, sich nicht abgrenzen, eigene Bedürfnisse nicht wahrnehmen, geschweige denn durchsetzen. Die Patientinnen leiden sehr unter ihrer stark eingeschränkten Leistungsfähigkeit, die auch häufig zu Krankenstand, vorzeitiger Pensionierung und zu sozialem Rückzug führt.


Die Resultate aus der Forschung entsprechen zu einem guten Teil denen der Psychotraumatologie. Es finden sich Fehlfunktionen
• im neuro-endokrinologischen Bereich: Veränderung in den Spiegeln von Substanz P (i.a. erhöht), Calcitonin, Serotonin, Tryptophan,   Noradrenalin, der Endorphine, Dopamin, Histamin, GABA
im immunologischen Bereich: Veränderungen der Zytokine,:
IL 6, IL2 und IL1, diese beeinflussen im präfrontalen Cortex z.B. Dopamin, Noradrenalin und Serotonin, haben aber auch Einfluss auf die Bildung von Auto Antikörpern
hormonell: widersprüchliche Befunde in Bezug auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse und im STH- Spiegel.

Im EMG: verminderte Kontraktionskraft, erniedrigte Relaxation, die Balance zwischen Agonisten und Antagonisten in der Muskulatur ist gestört.

In der funktionelle MRT: Generalisierte Hypersensitivität bei zentral veränderter Reizverarbeitung: reiner Druck auf die Haut löst im Gehirn in der funktionellen MRT dieselbe Aktivierung wie Schmerz aus.


THERAPIE:
Das Wichtigste für die PatientInnen ist es, sich Ernst genommen zu fühlen, die Akzeptanz ihrer Schmerzen und Beschwerden, dieses „Ja, das gibt es, und es hat einen Namen. Nein, Sie sind nicht verrückt. Nein, Sie bilden sich das nicht ein.“ Das definierte Therapieziel kann, wie bei allen chronischen Schmerzerkrankungen, nicht Schmerzfreiheit, sondern nur Besserung der Lebensqualität sein (was eine Besserung der Schmerzen nicht ausschließen muss).

Unbedingt erforderlich: „Education“ - Aufklärung
1.: Die Patientin über die Erkrankung aufklären, v. a., dass „kein Befund“ bedeutet, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung ausgeschlossen werden konnte, dass aber die Beschwerden glaubhaft sind, dass ich sie akzeptiere und Ernst nehme.
2.: Der Patientin ein verständliches und akzeptierbares Modell anbieten, wie chronischer Schmerz auch ohne körperlichen Befund entsteht oder persistiert, wie ein körperlich erlebter Schmerz seelisch bedingt sein kann.

Medikamententöse Therapie:

Es gibt kein Medikament, das verlässlich wirkt, und es wichtig, die Patientin darauf vorzubereiten, dass Sie gemeinsam ausprobieren müssen, worauf sie persönlich anspricht. Und es kommt selten vor, auch bei anfänglich gutem Ansprechen, dass die Wirkung einer Medikation über längere Zeit anhält. Sehr typisch ist der Anfangserfolg, Ärztin und Patientin sind in Hochstimmung „Endlich geschafft!“ – aber nach wenigen Wochen ist alles beim Alten. Es ist daher unbedingt zu empfehlen, gleichzeitig mit der medikamentösen Therapie andere therapeutische Maßnahmen einzuleiten.

Schmerzmedikation:

Empfohlen werden Paracetamol, NSAR (falls nötig mit Magenschutz), Tramadol; relativ neu ist eine Kombination Tramadol und Paracetamol. Von einer Behandlung mit stark wirksamen Opioiden oder mit Glukokortikoiden raten die Experten bei Fibromyalgie hingegen ab.
Unter den Antidepressiva ist für Amitriptylin, Fluoxetin und Duloxetin Wirksamkeit in Studien nachgewiesen, aber auch andere Antidepressiva können zu einer Verbesserung von Stimmung und Lebensqualität führen; Trazodon hat oft einen positiven Einfluss auf die Schlafqualität.
Bei den Antiepileptika hat Pregabalin in Studien Erfolge gehabt, ebenso Tropisetron.

Physikalische Maßnahmen können unterstützend wirken, warme Bäder, bei manchen Personen auch Kälte, TENS- und andere Elektrotherapien, Ausdauertraining (sehr vorsichtig anfangen!) – auch hier heißt es ausprobieren.

Das SELF-EMPOWERMENT – die SELBST-ERMÄCHTIGUNG der Patientin ist die Basis für jeden Behandlungserfolg: d.h. dass die Betroffenen die Erfahrung machen können, dass sie selbst ihr Leben und ihre Schmerzen beeinflussen können und aus der "erlernten Hilflosigkeit" zu Eigenkompetenz und Selbstverantwortung kommen.

Dazu helfen Psychotherapie, hier besonders die körperorientierten Richtungen und Verhaltenstherapie, Traumatherapie und Achtsamkeitstraining nach Jon Kabat-Zinn (she. Kasten….).

Dem interdisziplinären Ansatz kommt auf Grund der Vielschichtigkeit der Erkrankung und der Therapie-Möglichkeiten und –Notwendigkeiten eine besondere Bedeutung zu, er wird in fast allen Studien gefordert.


Dr. Elfriede Kastenberger
Ärztin für Allgemeinmedizin
Langjährige Assistenzärztin an einer Rheuma Sonderkranken Anstalt
Psychotherapeutin
Ärztliche Leiterin der „Interdisziplinären Praxis für Fibromyalgie“
Vorsitzende der Austrian Association for Body Psychotherapy


 


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